Das erste Mal V, Teil 2

Durch den dicken Anzug und die vom Laufen leicht angeschwollene Wadenmuskulatur passte ich nicht mehr zwischen den schmalen Spalt zwischen Lenkrad und Feuerlöschanlage! Die Blicke der Zuschauer, die jetzt natürlich alle auf mich gerichtet waren, drückten ob meiner Mimik eine Mischung aus Verwunderung und Mitleid aus. Unter Zuhilfenahme beider Arme gelang es mir nach schier endlosen Sekunden, meine Beine und den restlichen Körper mit Gewalt in das Cockpit zu bugsieren. Schweissüberströmt startete ich den Motor und bahnte mir einen Weg durch die Menschentraube.
Mein "Chefmechaniker" erwartete mich bereits ungeduldig am Luftfüller, und während er den Druck erhöhte, kamen viele Menschen spontan dazu und überhäuften mich mit Fragen und Glückswünschungen für das anstehende Rennen. in dieser Situation fühlte ich mich zum ersten Mal ziemlich alleine. Gerade eine Minute später bekam ich mit dem nach oben gerichteten Daumen das OK-Signal zum weiterfahren; ich startete ein weiteres Mal das Triebwerk und fuhr zum Zelt zurück, wo sich die anderen Teilnehmer anschickten, zum Vorstart zu gelangen. ich atmete gerade erleichtert auf und versuchte, wieder cool zu werden, als ich diesen unmißverständlichen typischen Brandgeruch vernahm, der nur einer überhitzten Verbrennungsmaschine zueigen ist. Der Blick auf meine Kühleinlässe zeigte Rauch! Oh nein, nicht das! Durch das Fahren bei niedriger Geschwindigkeit und das im Stand laufen lassen rebellierte der rein durch den Fahrtwind gekühlte Motor. Als die anderen losfetzten, trennte ich die Stromversorgung von der Zündung und bat meinen herbeigeeilten Helfer, mich zu Vorstart zu schieben, denn durch die Menschenmassen im Fahrerlager ging es ab nun sicher nur noch in gemässigtem Tempo, was zweifelsfrei in einen Motorbrand geendet hätte. So wurde ich zum Vorstart geschoben, zum letzten Tor, das mich von der Strecke trennte.
Am Vorstart wartet man auf den nun unmittelbar bevorstehenden beginn des Rennens. Die Fahrer bereiten sich hier, jeder auf seine Weise, auf ihre Aufgabe vor. Während die meissten durch hektisches Gasgeben den Motor laut bellen liessen, als eine Art postmoderne Drohgebärde, saß ich still und versunken auf blankem Aluminium und versuchte mich zu besinnen. Ich ging noch einmal alle Bauteile des Wagens durch und checkte im Kopf, ob sich doch noch ein Fehler eingeschlichen haben könnte, der die Fahrt jäh beenden, oder, schlimmer noch, zu einer gefährlichen Situation führen könnte.
Wesentliche Fragen begannen mich zu quälen, wie zum Beispiel: Tragen Rennfahrer ihre Nasen ausserhalb oder innerhalb der Sturmmaske? Ich versuchte, mir die Nasen von Schumi und Co. am Vorstart vorzustellen, aber es gelang mir nicht. Und weiter: werde ich im Falle einer Notsituation in der Lage sein, die drei M8 Schrauben, die das Lenkrad in seiner Position fixieren, abreissen können? Oder wird sich eher die ganze Lenksäule verbiegen?
Hoffentlich würde ich keinen Fehler machen, wenn die Jungs in ihren furchteinflössenden und beflügelten Super V Rennern mit 240 Sachen an mir vorbeifliegen, um mich bald schon zu überrunden! Was, wenn ich im Motodrom, Deutschlands berühmteste Kurvenkombination mit den wohl meissten Zuschauern, in das Kiesbett absegele und dort stecken bleibe? Wie sollte ich reagieren?
Den Zuschauern freundlich winken? So tun, als würde ich mich ärgern und das eben abgerissene Lenkrad zu Boden feuern, so wie Eddy Irvine es zu tun pflegt?
Normal müsste ich jetzt noch einmal die Strecke im Kopf durchgehen, jede Kurve mit ihren genauen Bremspunkten und Ideallinien, aber wie sollte ich, ich war ja noch nie dort! Mir wurde langsam schwummrig von den Abgasen, die mir mein Vordermann ständig ins Gesicht blies. Wie war das in der Kirche mit dem Weihrauch? Es heisst doch, man würde dort Opiate verköcheln, um die Gläubigen in einen euphorischen Zustand zu versetzen. Ich werde wohl so bald nicht mehr in die Nähe eines solchen gehen, dachte ich...
Da kam vom Rennleiter das Kommando zum Starten!
Die Geräuschkulisse wurde jetzt mörderisch, als alle Motoren aufbrüllten. Ich drückte meinen Anlassknopf, der den Starter in Bewegung setzte, der wiederum den Motor in Gang setzen sollte- was er aber nicht tat! "Neiiin! Nicht jetzt, nicht hier!", stammelte ich in meine Sturmhaube und versuchte es fieberhaft weiter.
Mit offensichtlichem Interesse verfolgten einige Offizielle mein Renndebut
Wie bei einem echten Grand Prix fuhren die anderen Teinehmer, die hinter mir aufgestellt waren, um mich herum, als sie erkannten, dass ich nicht wegkommen würde.
In sekundenschnelle analysierte ich im Kopf die für mein Startproblem ursächlichen Bauteile und erkannte glasklar: Beim kurzen Zündungs-check vor dem Start musste etwas Feuchtigkeit in den Verteiler eingedrungen sein! Mit etwas Konzentration und Glück sollte...
Da sprang er urplötzlich an! Mein rechter Fuß verhärtete sich schlagartig in der Vollgas- Position und verursachte ein Spektakel aus aggressivem, ungefiltertem Rennmotorensound, Fehlzündungen wie Kanonenschüsse, durchdrehenden, qualmenden Reifen und auseinanderspritzenden Schaulustigen und Funktionären. Durch die enge, keineswegs einfach zu nehmende Boxenausfahrt schoss ich, vielleicht einen Tick zu schnell, quer stehend auf die Rennstrecke; mit genau einer halben Runde Verspätung auf die Anderen begann also der Höhepunkt meines Abenteuers.
Endlich am Ziel meiner Träume
Lest hier, wie es weiter geht!